Junge Leute mit roten Schildern "Ausbildungsgarantie jetzt"
© DGB-Jugend /Jörg Farys

Soli aktuell 8/2023

Es kann komisch werden: Zum Ausbildungsstart

Start in die Ausbildung: "Dr. Azubi" weiß, wo es bei Vertrag, Rahmenplan, Lerninhalten, Berichtsheft, Anleitung und Berufsschule hapern könnte und was dagegen zu tun ist.

Julia Kanzog
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Azubi-Ratgeberin Julia Kanzog.

Die Ausbildungsqualität
Gratuliere zum Ausbildungsbeginn! Der Ausbildungsreport der DGB-Jugend 2022 bestätigt, dass fast jeder zehnte Auszubildende mit der Qualität in der Ausbildung nicht zufrieden ist. Fragen im "Dr. Azubi"-Forum wie: "Werden wir ausgenutzt?" oder "Darf mein Betrieb überhaupt Überstunden von uns Azubis verlangen?" sind keine Einzelfälle.

Stelle gleich zu Beginn und nicht erst kurz vor der Abschlussprüfung deinen Betrieb auf den Prüfstand, um zu erfahren, ob du eine qualitativ gute Ausbildung genießt. Und wenn nicht, dann setz dich für eine gute Ausbildung ein!

Der Ausbildungsvertrag
Die wichtigste Frage zu Beginn ist, ob du einen Ausbildungsvertrag hast. Dieser wird von dir und deinem Betrieb unterschrieben. Dann wird er an die zuständige Kammer geschickt, wo dein Ausbildungsverhältnis offiziell eingetragen und der Vertrag abgestempelt wird. Er wird auch inhaltlich geprüft sowie sichergestellt, dass dein Betrieb ausbilden darf. Und wenn nicht? Dann kann dir deine Ausbildungszeit nicht angerechnet werden!

So wie bei Janis. Er schreibt ins "Dr. Azubi"-Forum: "Vor Beginn der Ausbildung bzw. noch vor Unterzeichnung des Vertrages wurde uns mitgeteilt, dass wir einen IHK-Abschluss machen werden. Über die Zeit hinweg wurde uns dann immer wieder gesagt, das sei gar nicht so sicher. Ein klares "Nein" gab es nicht, man befinde sich "in Verhandlungen", hieß es. Das Problem: Im Vertrag wird kein Abschluss der IHK erwähnt..."

Achtung: Mündliche Vereinbarungen sind immer sehr schlecht nachzuweisen. Vielleicht kann Janis ihren Betrieb auf Schadensersatz verklagen, wenn sich ihre Ausbildungszeit verlängert, weil die Ausbildungseignung fehlt.

Der Ausbildungsrahmenplan
Die angehende Installateurin Ellen schreibt uns: "Hallo, in meinem Betrieb bekomme ich immer die gleichen zwei Aufgaben – Duschkabinen einbauen oder Badewannen. Die anderen in meiner Berufsschulklasse kriegen viel mehr Aufgaben. Was soll ich machen?"

Gut, dass sie sich an das "Dr. Azubi"-Forum wendet! Ellen sollte dringend einen Blick in ihren Ausbildungsrahmenplan werfen. Der muss dem Ausbildungsvertrag beiliegen. Er stellt den Grundstock der Ausbildung dar und legt für jeden Ausbildungsberuf genau fest, was du wann lernen musst.

Wer sich unsicher ist, ob er richtig ausgebildet wird, nehme sich schnell den Rahmenplan zur Hand und vergleiche ihn mit den Inhalten im Berichtsheft. Nach der Probezeit könnt ihr dann in Sachen Ausbildungsinhalte das Gespräch mit dem Betrieb suchen.

Die Ausbildungsinhalte
Du musst nur Aufgaben erledigen, die nicht Inhalt des Rahmenplans sind? Kaffee kochen, Rasen mähen, auf die Kinder deines Vorgesetzten aufpassen?
Das sind klar ausbildungsfremde Tätigkeiten, sie haben nichts mit deiner Ausbildung zu tun. Sandra, die angehende Kauffrau für Büromanagement, schreibt uns: "In meiner Ausbildung war ich zu 95 Prozent meiner Zeit komplett allein unterwegs und musste Kunden und Anlagen eigenständig betreuen. In einem Bereich, der nichts mit meiner eigentlichen Ausbildung zu tun hat."

Achtung: Hier solltest du frühzeitig – schon in der Probezeit – die Ausbildung checken: Gibt es überhaupt die Möglichkeit, in meinem Betrieb alle Ausbildungsinhalte zu erlernen? Haben andere Auszubildende in höheren Ausbildungsjahren etwas gelernt?

Wichtig: Fülle dein Berichtsheft wahrheitsgemäß aus, notiere alle Tätigkeiten, die du ausgeführt hast, auch die ausbildungsfremden. Damit hast du eine gute Gesprächsgrundlage und einen guten Nachweis.

Das Berichtsheft
Wenn das Berichtsheft ein Fremdwort für dich ist oder dich beim Aufschlagen nur leere Seiten angähnen, dann solltest du wachsam sein. In das Berichtsheft schreibst du täglich oder wöchentlich, was du in deinem Betrieb gelernt hast. Es dient dir als Lernzielkontrolle – und auch als wichtiger Nachweis, ob du alle Ausbildungsinhalte erlernt hast. Das Berichtsheft muss dir der Betrieb kostenlos zur Verfügung stellen, regelmäßig kontrollieren und unterschreiben. Und da es verpflichtender Teil der Ausbildung ist, dürft Ihr natürlich das Berichtsheft während der Arbeitszeit schreiben.

Die qualifizierte Anleitung
Henri schreibt in unser Forum: "Ich mache eine Ausbildung im Fitnessstudio und am 1.April wurde der Manager unserer Filiale gekündigt. Nun läuft der komplette Betrieb ausschließlich mit Auszubildenden und Hilfskräften (die 15 Jahre alt sind). Weder eine Vollzeitkraft noch ein Ausbilder ist im Betrieb. Geleitet wird er aus der weit entfernten Zentrale. Ist das so möglich? Die ganze Verantwortung wurde einem Azubi im zweiten Ausbildungsjahr ohne Ausbildungsschein übertragen. Also, ich finde die Situation schon sehr komisch!"

Im stillen Kämmerchen oder mithilfe des Internets lassen sich Abläufe und Praxisinhalte schlecht erlernen. Auch Mitauszubildende, Praktikant*innen oder Aushilfskräfte sind ganz klar keine qualifizierten Ansprechpersonen, um einen Beruf zu erlernen. Daher muss die Ausbildung eine Person durchführen, die fachlich sowie persönlich geeignet und im Betrieb greifbar ist, um euch in Arbeitsabläufe einweisen zu können. Henri sollte schnellstmöglich darauf drängen, dass er eine qualifizierte Person an seiner Seite hat, um seinen Beruf richtig erlernen zu können.

Und wie sieht es mit der Berufsschule aus?
Die Berufsschule ist verpflichtender Bestandteil der Ausbildung. Dein Betrieb muss dich für die Berufsschule freistellen. Die Berufsschule geht also klar der betrieblichen Praxis vor. Ein betriebliches Interesse an deinem Leistungsstand in der Berufsschule ist daher ein gutes Zeichen. Kommt es vor, dass du vom Betrieb angewiesen wirst zu arbeiten, anstatt die Berufsschule zu besuchen, dann ist das nur im absoluten Ausnahmefall möglich.

Zum Schluss
Bei allen Problemen könnt und solltet ihr euch an eure Gewerkschaft vor Ort wenden!


(Aus der Soli aktuell 8/2023, Autorin: Julia Kanzog)