So geht richtiges Beschweren
Missstände beheben: Die JAV, das neue Hinweisgeberschutzgesetz und seine gesetzlichen Freunde.
Verfahren im Betrieb
In sicherlich jedem Betrieb gibt es Probleme – und sogar Missstände und Benachteiligungen. Arbeitnehmer*innen und Auszubildende sind berechtigt, sich zu beschweren bzw. üble Zustände zu melden. Dafür gibt es einige Möglichkeiten. So kann man sich natürlich an Ausbilder*innen oder Vorgesetzte wenden. Was aber, wenn sie die "Täter" sind?
Hier kommt die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) ins Spiel: Die Entgegennahme von Anregungen – damit sind auch Beschwerden gemeint – gehört zu den Pflichten einer jeden JAV (§ 70 Abs. 1 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz, BetrVG). Hält die JAV die Beschwerde für berechtigt, übermittelt sie dem Betriebsrat eine Stellungnahme mit der Bitte, tätig zu werden.
Natürlich kann man auch gleich den Betriebsrat einschalten. Er ist verpflichtet, Beschwerden zu bearbeiten und mit dem Arbeitgeber darüber zu verhandeln (§ 85 Abs. 1 BetrVG).
Schwerbehinderte Auszubildende haben eine weitere Option: Hier ist die Schwerbehindertenvertretung in der Pflicht, die Beschwerde zu bearbeiten (§ 178 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch IX).
Die AGG-Beschwerdestelle
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind Arbeitgeber verpflichtet, eine Beschwerdemöglichkeit zu schaffen (§ 13 Abs. 1 AGG). Sie wird genutzt, wenn sich Beschäftigte direkt oder indirekt aus den im AGG angeführten Gründen wie z.B. Geschlecht, Behinderung, Religion oder Lebensalter benachteiligt sehen. Ihre Einrichtung und Ausgestaltung unterfällt der Mitbestimmung des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
Tipp: Die JAV mit ins Boot holen!
In vielen großen Unternehmen werden Beschwerden in speziellen Betriebs- bzw. in Compliance-Vereinbarungen geregelt. Das AGG enthält ausdrücklich ein Maßregelungsverbot (§ 16): Kein Beschwerdeführer ("Whistleblower") darf Nachteile erleiden. Aber auch im Fall von Beschwerden, die sich nicht auf das AGG stützen, besteht für Arbeitgeber ein Maßregelungsverbot (§ 612a Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Eine deshalb ausgesprochene Kündigung ist nichtig.
Vorsicht Falle: Es besteht aufgrund des Rücksichtnahmegebots (§ 241 Abs. 2 BGB) die Pflicht, erst einmal alle innerbetrieblichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Das gilt – außer bei akuter Gefahr für Leib und Leben – auch für Betriebsräte und JAVen. Vorschnelles Handeln kann wegen Vertrauensbruch sogar eine fristlose Kündigung begründen. Letzten Endes wird aber jeder Fall von den Gerichten individuell bewertet.
Tipp: Konsequenzen kann es natürlich nur geben, wenn der Whistleblower dem Arbeitgeber bekannt ist.
Das neue Schutzgesetz
Mit dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) wird eine Richtlinie der EU zum Schutz der Whistleblower in deutsches Recht umgesetzt. Geschützt werden sollen alle Beschäftigten, also auch Auszubildende (§ 3 Abs. 8 HinSchG). Wer sich im Betrieb aus der Deckung wagt und sich gehalten fühlt, den Arbeitgeber wegen illegaler Handlungen anzuzeigen, soll nun besser vor Repressalien geschützt werden.
Meldet ein Auszubildender etwa eklatante Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz, soll ihm deshalb nicht die Weiterbeschäftigung nach Ausbildungsende versagt werden können. Repressalien – schon ihre Androhung – sind verboten.
Die Situation der Whistleblower wird auch durch eine Beweislastumkehr erleichtert (§ 36 HinSchG). Grundsätzlich wird vermutet: Werden sie benachteiligt, dann ist das eine Repressalie. Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass das nicht der Fall ist, und ist sogar zu Schadenersatz verpflichtet.
Achtung: Nur der Hinweis auf Handlungen, die gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen oder die Verhängung von Bußgeldern nach sich ziehen können, ist geschützt.
Die Meldestelle
In allen Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten sowie Unternehmen in einigen speziellen Branchen wie z.B. Versicherungen und Wertpapierinstitute ist mindestens eine interne Meldestelle für Hinweisgeber*innen einzurichten (§ 12 HinSchG). Das gilt für Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten ab sofort, für Unternehmen mit bis zu 249 Beschäftigten ab 17.Dezember 2023 (§ 42 Abs. 1 HinSchG). Mehrere Arbeitgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten können auch eine gemeinsame Meldestelle betreiben (§ 14 Abs. 2 HinSchG). Werden die Vorgaben ignoriert, droht dem Arbeitgeber ein Bußgeld (§ 40 HinSchG).
Der Arbeitgeber entscheidet, wie die Meldestelle besetzt wird. Er kann diesbezüglich einen oder mehrere Beschäftigte einsetzen oder auch Dritte mit dieser Aufgabe betrauen (§ 14 Abs. 1 HinSchG). Die beauftragten Personen müssen über die notwendige Fachkunde verfügen (§ 14 Abs. 2 HinSchG). Sie arbeiten unabhängig, Interessenkonflikte sind dabei auszuschließen.
Und natürlich muss alles getan werden, damit die Vorgänge auch vertraulich bleiben: Daher sind geeignete Meldekanäle wie etwa Hotlines einzurichten. Die Hinweise müssen mündlich, schriftlich oder auch persönlich gegeben werden können. Auch anonyme Meldungen sollen möglich sein.
Verfahrensweise
Das passiert bei Erhalt eines Hinweises (§ 17 HinSchG):
- Spätestens sieben Tage nach Eingang muss dieser bestätigt werden.
- Die Meldestelle muss prüfen, ob der gemeldete Verstoß unter das Gesetz fällt.
- Die Beschwerdestelle muss mit denen, die Hinweise geben, Kontakt halten, die Meldung auf ihre Stichhaltigkeit prüfen.
- Wenn nötig, müssen weitere Informationen angefordert werden.
Folgemaßnahmen (§ 18 HinSchG) können u.a. sein: interne Untersuchungen und Kontaktaufnahme mit betroffenen Personen oder Abgabe an die zuständige Behörde.
Spätestens drei Monate nach Eingangsbestätigung – bzw. nach drei Monaten und sieben Tagen, wenn es keine gab – hat die Meldestelle Hinweisgeber*innen eine Rückmeldung über geplante oder bereits ergriffene Folgemaßnahmen zu geben (§ 17 Abs. 2 HinSchG).
Tipp: Bei der Einführung des Hinweisgebersystems ist der Betriebsrat nicht nur umfassend zu informieren, die Ausgestaltung berührt auch zahlreiche Mitbestimmungstatbestände wie z.B. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ("Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer") oder Personalfragebogen (§ 94 BetrVG).
Zum Schluss: Beschäftigten steht ein Wahlrecht zu: Anstelle der internen Meldestelle können sie sich auch an eine externe Meldestelle wenden (§ 7 HinSchG). Eine solche befindet sich beim Bundesamt für Justiz.
(Aus der Soli aktuell 7/2023, Autor: Wolf-Dieter Rudolph)