Deutscher Gewerkschaftsbund

Out and Proud - Queer an der Uni und in der Gewerkschaft

Für alle im ersten Semester ist der Start ins Studium aufregend und spannend. Es ist der Beginn eines neuen Lebensabschnittes. Junge Queers haben zudem die Chance, die eigene Identität und Orientierung zu erfahren, zu erkunden und zu erleben – denn an der Uni eröffnen sich einem meist ganz neue Möglichkeiten. Viele junge LGBTQI+ -Personen organisieren sich beispielsweise queerpolitisch und werden Teil der Community.

Leider erleben junge Queers auch heute noch Diskriminierung im Alltag: an der Uni, in ihrer Freizeit oder im Job. Fast 90 Prozent der queeren Jugendlichen werden online gemobbt. Homo- und Transfeindlichkeit sowie strukturelle Benachteiligungen sind nach wie vor aktuell. Die Zahl der registrierten Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Laut Innenministerium waren es 2020 782 Straftaten von Hasskriminalität. Von den insgesamt 154 Gewalttaten gelten 144 als Körperverletzungen. Das ist ein Anstieg von 36% gegenüber 2019.

Gleichzeitig erfahren – und das klingt fast paradox – LGBTQI+ -Personen immer mehr Akzeptanz. Ein Erfolg der jahrzehntelangen Kämpfe. So ist zum Beispiel die bürgerliche Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mittlerweile geöffnet. Auch in der Arbeitswelt ist vieles besser – aber lange noch nicht alles gut - geworden. Zwar hat sich die Zahl der queeren Beschäftigten, die offen mit ihrer Orientierung oder Identität umgehen, mehr als verdoppelt, aber noch immer redet ein Drittel am Arbeitsplatz nicht über die eigene Identität oder sexuelle Orientierung – aus Angst vor Diskriminierung.

JJ ist sowohl queer- als auch gewerkschaftlich-politisch aktiv und hat studiert. Was JJ umtreibt, welche Themen JJ wichtig sind – darüber haben wir mit JJ gesprochen.

JJ

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JJ ist 25 Jahre alt. JJ ist nicht-binär, definiert sich also weder als Mann noch als Frau und will daher auch nicht mit Pronomen angesprochen werden. JJ hat zwischen 2015 und 2019 Soziale Arbeit an der Fachhochschule Potsdam studiert. JJ ist als Teamer_in in der gewerkschaftlichen Jugendbildungsarbeit aktiv.

JJ, warum bist du Gewerkschaftsmitglied?
Mit 15 wurde ich in das Arbeitsleben geworfen und habe damals eine dreijährige Ausbildung als Kaufmensch für Bürokommunikation an der Hochschule Esslingen begonnen. Ich erlebte in meinem Ausbildungsbetrieb viele Missstände: Auszubildende wurden als günstige Arbeitskräfte genutzt, der Jugendschutz missachtet. Ich habe einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und wollte dagegen vorgehen – so wurde ich Vorsitzende_r der Jugend- und Auszubildendenvertretung in meinem Betrieb.

Gewerkschaftsmitglied wurde ich nach meiner Ausbildung und bin nun seit sieben Jahren stolzes Mitglied bei ver.di, um Missstände aufzuzeigen und zu verändern. Dies tue ich vor allem durch Bildungsarbeit in den Projekttagen für Demokratie und Mitbestimmung der DGB-Jugend, bei denen wir in Berufsschulklassen Auszubildende für diesen Interessenkonflikt in unserer Gesellschaft sensibilisieren, sie über ihre Rechte aufklären und darüber sprechen, wie sie diese durchsetzen können: Zum Beispiel Mitglied in einer Gewerkschaft werden.

Wie lief in der Vergangenheit die Zusammenarbeit zwischen queeren Gruppen und den Gewerkschaften?
In den 1970ern gab es mehrere Berufsverbotsfälle von queeren Personen, zum Beispiel im Schuldienst. Die Gewerkschaften unterstützten die Kolleg_innen mit Beratung und Rechtsschutz. Und die Gewerkschaften enttabuisierten queere Themen und führten später beispielsweise Aufklärungskampagnen zum Thema HIV und Aids durch.

Die queeren Communities zeigten sich immer wieder solidarisch mit gewerkschaftlichen Kämpfen. Bekanntestes Beispiel: Die Kampagne "Lesbians and Gays Support the Miners" war eine Vereinigung von britischen lesbischen und schwulen Aktivist_innen, die die Arbeitskämpfe der britischen Bergarbeiter durch monetäre Hilfen unterstützten.

In Deutschland setzten sich wiederum viele regionale und bezirkliche gewerkschaftliche Gruppen für die ersatzlose Streichung des § 175 Strafgesetzbuch ein – dieser kriminalisierte bis zu seiner Streichung 1994 homosexuelle Handlungen zwischen Männern.

Warum sind denn queere Themen auch für die Gewerkschaften wichtig?
Unterschiedliche Klassenverhältnisse, die durch den Interessengegensatz von Arbeit und Kapital entstehen, schließen alle Arbeiter_innen fernab ihrer Sexualität oder geschlechtlichen Identität mit ein – alle Beschäftigten haben vergleichbare Probleme und Bedürfnisse.

Darüber hinaus gibt es aber eine strukturelle Diskriminierung in unserer Gesellschaft von LGBTQI+ -Personen. Und davon sind natürlich auch die erwerbstätigen Kolleg_innen aus LGBTQI+ -Commmunities betroffen.

Studien zeigen, dass auch heute noch viele queere Menschen Diskriminierung an ihrem Arbeitsplatz erfahren. Daher ist es wichtig, intersektional zu denken und verschiedene Perspektiven in unsere Kämpfe einzubeziehen. Queere und gewerkschaftliche Kämpfe haben gemeinsame Schnittpunkte: Gerechtigkeit, Vielfalt, Solidarität und Anti-Diskriminierung.

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Die Gewerkschaftsjugend engagieren sich für queere Belange, veranstaltet queere Sommercamps: Studien zeigen, dass auch heute noch viele queere Menschen Diskriminierung an ihrem Arbeitsplatz erfahren. Queere und gewerkschaftliche Kämpfe haben gemeinsame Schnittpunkte: Gerechtigkeit, Vielfalt, Solidarität und Anti-Diskriminierung.

Welche Themen brennen dir zurzeit unter den Nägeln und warum? Wo siehst du aus queerpolitischer Sicht Handlungsbedarfe?
Wir müssen endlich antirassistische Handlungen zur Praxis werden lassen – auf struktureller, individueller und medialer Ebene. Queere Communities müssen solidarischer in intersektionalen Kämpfen sein. Wir müssen internationale Debatten in unsere Kämpfe mit einbinden und trotzdem den Fokus auf unsere regionalen Auseinandersetzungen nicht verlieren. Und wir müssen individuell, aber auch kollektiv gegen Rassismus und Ungerechtigkeit kämpfen.

Das bedeutet auch im Zuge der Covid-19-Pandemie genau hinzuschauen: Wer leistet eigentlich systemrelevante Arbeit? Vor allem prekäre systemrelevante Arbeit, wie zum Beispiel Care Work, wird hauptsächlich von migrantischen Frauen erledigt. Sie halten auch in der Krise unsere Gesellschaft am Laufen. Nur leider wird ihnen nicht die nötige Anerkennung, zum Beispiel in Form angemessener Löhne, entgegengebracht. Hier braucht es dringend bessere Arbeitsbedingungen.

Welche Erfahrungen hast du als queere Person an der Uni gemacht?
Als genderqueere Person habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass Kommiliton_innen oder Lehrende nicht verstehen, was Pronomenrunden sind oder warum ich nicht den Namen benutzen möchte, der in meinem Pass steht. Zudem stehen trans* Personen häufig auch bürokratische Hürden im Weg, da Hochschulen einen Namens- und/oder Pronomenwechsel erst akzeptieren, wenn dieser amtlich durchgeführt wurde.

Du warst im Rahmen deines Studiums auch queerpolitisch aktiv.
Genau. An meiner Hochschule war ich beispielsweise Teil der AG Anti-Diskriminierung, bei der wir an der Fachhochschule Potsdam dafür kämpften, eine Toilette für nicht-binäre Menschen zu installieren. Trotz großem Widerstand des Senats konnten wir unsere Forderungen zumindest teilweise durchsetzen: In jedem Gebäude der FHP wurde zumindest je eine bestehende Toilette für nicht-binäre Personen zur Verfügung gestellt. So gibt es nun einerseits sichere Orte und andererseits werden so Sichtbarkeit und Anerkennung erzeugt.

Wie siehst du die Situation für LGBTQI+ -Personen an den Hochschulen generell?
Es gibt an den Hochschulen auf jeden Fall einen Trend, diskriminierende Strukturen zu hinterfragen. Es kommt sehr darauf an, wo man studiert und auch in welchem Studiengang man sich befindet. So haben Studierende in den Gender Studies womöglich andere Erfahrungen als Studierende im Maschinenbau.

Problematisch ist vor allem, wer Zugang zu Hochschulen erhält, wer dort arbeitet oder lehrt und wer unbefristete Verträge bekommt. Im Moment sind das in der Regel doch auch die Leute, die gesamtgesellschaftlich privilegierter sind, auch wenn es um gute Arbeitsbedingungen geht: weiße Cis-Männer.

Wie ist die Situation von LGBTQI+ -Personen in der Arbeitswelt? Was können Gewerkschaften tun?
Am Arbeitsmarkt sind trans* Personen immer noch stark benachteiligt – viele sind zudem erwerbslos oder gar erwerbsunfähig. Ihre Aufstiegschancen sind gering und sie werden unterdurchschnittlich entlohnt.

Gerade deswegen finde ich es wichtig, dass sich Gewerkschaften mit diesen Themen gezielter auseinandersetzen und Allianzen mit Organisationen und Vereinen bilden, die sich für die Rechte von LGBTQI+ -Personen einsetzen.

Außerdem braucht es eine Bedarfsanalyse von Gewerkschaften, was genau getan werden kann, um Queers über ihre Rechte aufzuklären und sie für Arbeitskämpfe zu mobilisieren.

Was wünschst du dir von den DGB-Gewerkschaften bezüglich queerer Themen?
Ich wünsche mir mehr Selbstreflexion. Ich wünsche mir, dass die eigenen Strukturen hinterfragt und kritisch betrachtet werden. Ich wünsche mir Solidarität mit unseren Communities – nicht nur einmal im Jahr auf dem CSD.

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