"Höchstens vier Wochen" sollte der Streik der Pflegekräfte 2022 in NRW dauern. Es wurden elf. Der junge Filmemacher Jonas Alter hat einen beeindruckenden Film über den längsten Arbeitskampf im deutschen Gesundheitssystem gedreht.
© Privat
Jonas Alter, 21, studiert Intermedia an der Universität Köln. Kamera und Schnitt hat er sich selbst beigebracht.
Jonas, wie bist du zu dem Streik für Entlastung in der Pflege in NRW gekommen?
Eigentlich eher zufällig. Ich hatte über die sozialen Medien schon ein paar Sachen von der Krankenhausbewegung in Berlin gesehen. Als ich mit einem Praktikum fertig wurde und plötzlich 30 Stunden die Woche weniger Arbeit hatte, bin ich ziellos in die Stadt gefahren. In der Bahn habe ich eine Nachbarin getroffen, die meinte, dass sie zu einer Demo vor der Uniklinik geht. Ich bin mitgekommen, habe mir die Reden angehört. Das Thema hat mich sofort mitgenommen. Endlich tun sich Leute zusammen, um das Problem des Personalmangels in Kliniken anzugehen, das während Corona so eklatant deutlich geworden war!
79 Tage hat der Arbeitskampf gedauert, du bist die ganze Zeit dabei gewesen.
Ich habe unter der Annahme angefangen zu filmen, dass der Streik höchstens vier Wochen dauert. Dann wurde so langsam klar, dass sich das Ganze noch etwas ziehen wird. Hätte ich aufhören sollen? Dann wären die kompletten drei Wochen umsonst gewesen.
Wie war das vor Ort, gab es viele Probleme beim Dreh?
Keine besonders großen. Für mich war es nur sehr anstrengend, weil ich alleine und mit teilweise fehlerhafter Technik gearbeitet habe. Insbesondere alleine zu arbeiten, war hart – wenig Zeit für Freunde haben und gleichzeitig auch beim Dreh eine professionelle Distanz wahren. Über mehrere Monate.
Was hat dich am meisten beeindruckt?
Das Engagement der Beteiligten! Wie ganz normale, "neutrale" Krankenschwestern und Pfleger nach Jahren plötzlich aktiv werden – und ganze Stationen sich in kürzester Zeit gewerkschaftlich organisieren und sich dem Streik anschließen. Leute, die einfach nur einen guten Alltag und ein funktionierendes Krankenhaus wollen. Und sich als Delegierte aufstellen lassen, in Räten das Vorgehen in den Verhandlungen und die Forderungen festlegen. Das war lebendige Demokratie in einem Krankenhaus.
Wie kommt es, dass du Filme drehst?
Für mich ist das die perfekte Mischung aus Kunst und Journalismus. Man kann die Zuschauer mitnehmen, Gefühle vermitteln und gleichzeitig ein besseres Verständnis für das Thema schaffen, über das man berichtet. Und weil ich jetzt im Studium noch nicht den Druck habe, viel Geld damit zu verdienen, kann ich auch die Themen so setzen, wie ich möchte – und auch mal länger an etwas dranbleiben. Später, in einem Sender oder einer Produktionsfirma, werde ich solche Freiheiten nicht haben. Also kann ich die Chance jetzt nutzen.
Was willst du mit dem Film "Höchstens vier Wochen" bewirken?
Ich möchte, dass die Leute, die keine großen Berührungspunkte mit Krankenhäusern haben, verstehen, dass und wie die Mitarbeiter*innen dort vom Personalnotstand betroffen sind. Weil wir alle und auch unsere Liebsten irgendwann im Krankenhaus landen. Dann sind wir alle darauf angewiesen, dass es funktioniert.
Im Endeffekt hoffe ich aber vor allem, dass Menschen durch den Film verstehen, wie groß das Problem mit den Fallpauschalen ist. Und dass der Film zu dem politischen Willen beiträgt, dieses System zu ersetzen.
Ich hoffe, dass "Höchstens vier Wochen" die Menschen erreicht, die nichts vom Streik mitbekommen haben. Die, die den Personalmangel in ihrem Alltag ausblenden. Und auch die, die glauben, dass man nichts mehr dagegen machen kann.
© Drop-Out Cinema
Nicht weniger als eine Tarifrebellion: der Krankenhaus-Streik in NRW.
Jonas Alters dramaturgisch prima gebauter Dokumentarfilm "Höchstens vier Wochen" handelt vom größten Streik im deutschen Gesundheitssystem im Frühjahr 2022.
Aus dem Nichts ist dieser Arbeitskampf nicht entstanden. Seit Ende der 1990er Jahre wird am System der Krankenhäuser in Deutschland herumgebastelt. Gewinnträchtige Privatisierungen wie Massenentlassungen von Pflegekräften gehörten zum Instrumentarium, um das deutsche Gesundheitssystem "profitabel" zu machen – vor allem durch das System der Fallpauschalen: Die Krankenhäuser bekommen einen festen Satz für bestimmte Behandlungen, was zu reiner Gewinnorientierung, Arbeitsverdichtung, massivem Stress auf den Stationen und Fachkräfteflucht geführt hat.
Die Beschäftigten der Uniklinken in Nord rhein-Westfalen streikten zu Beginn des Jahres 2022 mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di erstmals für mehr Personal, forderten Entlastung.
Es war ein Streik für ein besseres Gesundheitssystem und für eine bessere Versorgung. Denn die Unterbesetzung von z.B. Rettungsstellen kann zu Todesfällen führen. Am 78. Tag kam dann tatsächlich der Tarifvertrag Entlastung zustande, er enthält Bestimmungen zum Zeitmanagement, einen Belastungsausgleich sowie bessere Bedingungen für Auszubildende und dual Studierende, deren Einhaltung auch kontrolliert wird. Jonas Alter ist überall mit der Kamera dabei: bei Streikaktionen, Betriebsversammlungen, vor dem Arbeitsgericht, das die Uniklinikleitung Bonn bemühte. Es ist die erste lange Arbeit des jungen Regisseurs. Ein mitreißendes Stück Dokumentarfilm – darüber, dass sich Engagement immer lohnt!
"Höchstens vier Wochen – Die Geschichte des größten Streiks im Deutschen Gesundheitssystem". D 2022. Regie: Jonas Alter. Zu sehen auf www.youtube.com/@Bewegungsgartner
(Aus der Soli aktuell 4/2023, Autorin: Soli aktuell)