Deutscher Gewerkschaftsbund

Griechenland nach der Krise

Die DGB-Jugend engagiert sich in der internationalen Bildungsarbeit. Wie eine Bildungsreise aussehen kann, beschreibt Philipp Möcklinghoff.

© DGB-Jugend

Philipp Möcklinghoff ist Bildungsreferent in der DGB-Jugendbildungsstätte Hattingen.

Siebzehn junge Menschen aus Deutschland sitzen in Athen im Halbkreis auf einem Bordstein und lauschen den Ausführungen des Historikers Kostis Karpozilos zur jüngeren Geschichte Griechenlands. Denn die hat es in sich: Erst ein verlorener Eroberungskrieg gegen die heutige Türkei, dann Terror und Hungersnot unter deutscher Besatzung während des Zweiten Weltkriegs, die in der fast vollständigen Ermordung des griechischen Judentums gipfelte. Und nach dem Weltkrieg ein Bürgerkrieg, gefolgt von einer Militärdiktatur, die erst in den 1970ern zu Fall gebracht werden sollte.

Diese Auflistung ist noch gar nicht im Heute angekommen. Und dennoch wird bereits deutlich, wie facetten- und ereignisreich die Geschichte des europäischen Landes ist – viel komplexer jedenfalls, als es den meisten Teilnehmer*innen unserer Bildungsreise wirklich bewusst war.

Für knapp eine Woche halten sich die jungen Gewerkschafter*innen im Rahmen der Bildungsreise "Griechenland nach der Krise. Europäische Solidarität?!" in der griechischen Hauptstadt auf. Dem Titel entsprechend liegt das Hauptaugenmerk auf den Folgen der Weltfinanzkrise von 2007, die sich 2010 zur Eurokrise und damit wenig später zur Staatskrise in Griechenland entwickelte. Welche Antworten finden Gewerkschaften in der schwierigen Situation, wie lässt sich in Zukunft für ein solidarisches und soziales Europa kämpfen?

Die Gruppe kommt auch mit Stefanos Spiliotopoulos von der Friedrich-Ebert-Stiftung Athen und Lefteris Papagiannakis, der eine Zeit lang der Athener Vize-Bürgermeister für Migration war, ins Gespräch. Dabei wird klar, wie wenig über die heutige Situation der Griech*innen in der deutschen Öffentlichkeit eigentlich bekannt ist und wie sehr dafür Vorurteile die Debatte bestimmen (Stichwort "Pleitegriechen").

Besonders interessant ist die Perspektive unserer griechischen Kolleg*innen, die uns George Christopoulos vom griechischen Gewerkschaftsverband GSEE nahebringt: Jeder vierte Euro in Griechenland wird in illegalen Beschäftigungen erwirtschaftet, während ein Großteil der angemeldeten Arbeitsverhältnisse in Familien- und Kleinbetrieben zu finden sind. Im GSEE sind jedoch vor allem Beschäftigte von größeren Betrieben organisiert, die sich in den wenigen Großstädten Griechenlands befinden. Dabei liegt die Arbeitsloslosigkeit bei 27,6 Prozent – die Bedingungen für Gewerkschaftsarbeit sind also alles andere als einfach.

Die schwierige wirtschaftliche Situation belastet natürlich auch den Sozialstaat: Wer arbeitslos wird, hat nur für die ersten zwei Jahre Anspruch auf staatliche Unterstützung. Danach ist man auf sich allein gestellt. Diese dramatische Lage spiegelt sich auch im Stadtbild Athens wider: Häufig sind die Gebäude und Straßen stark sanierungsbedürftig, viele Menschen leben auf der Straße. Gleichzeitig haben sich viele Griech*innen organisiert, um sich gegenseitig zu unterstützen, etwa in Kooperativen, die günstig Essen zubereiten oder Kinderbetreuung organisieren.

Das Zusammentreffen mit den Kolleg*innen des GSEE ist ein sehr herzliches Erlebnis. Christopoulos ist sehr erfreut über das Interesse; wir finden wiederum gar nicht die Zeit, all unsere Fragen zu stellen. Die vielgerühmte griechische Gastfreundschaft wird bei gutem Essen und weiteren interessanten Gesprächen unter Beweis gestellt. Wir kommen gerne wieder! Wer weiß, was die Zukunft bringt – ein Ausbau der Freundschaft zwischen griechischen und deutschen Gewerkschafter*innen darf jedenfalls gern dazu gehören.

Die Griechenland-Reisegruppe

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Die Delegation in Griechenland – so geht internationale Bildungsarbeit! Die DGB-Jugend plant auch 2023 Seminare im Ausland. Das aktuelle Bildungsprogramm findet ihr auf www.dgb-jugendbildung.de

Internationale gewerkschaftliche Bildungsarbeit
Im globalisierten 21. Jahrhundert agieren Unternehmen über Landesgrenzen hinweg, Wertschöpfungsketten sind international aufgestellt und Warenströme werden über nationale Grenzen hinweg gesteuert. Beschäftigte müssen mobil sein und werden gegeneinander ausgespielt. Diese Entwicklungen erfordern, dass auch wir Gewerkschaften grenzübergreifend denken und handeln.

Die Bildungsarbeit der DGB-Jugend ist die Vorbereitung, um internationale Arbeit dauerhaft und nachhaltig in der Gewerkschaftsjugend zu etablieren. Wenn die DGB-Jugend ein Seminar zur Rolle der Gewerkschaften in den Protesten des globalen Südens durchführt, zum Treffen mit Kolleg*innen vom Balkan einlädt oder Informationen zur Weltlage verschickt, zeichnet häufig der Arbeitskreis Internationales (AKI) verantwortlich. Er setzt sich aus ehren- und hauptamtlich Aktiven der Mitgliedsgewerkschaften und DGB-Bezirke zusammen und koordiniert die internationale Arbeit der DGB-Jugend auf Bundesebene. Im AKI werden auch aktuelle Themen des Europäischen und des Internationalen Gewerkschaftsbundes besprochen. Die Vertreter*innen bei internationalen Zusammenkünften und Netzwerktreffen werden aus dem AKI heraus delegiert.

Wenn ihr Lust habt, die internationale Arbeit der Gewerkschaftsjugend mitzugestalten, wendet euch an eure Mitgliedsgewerkschaft oder euren DGB-Jugend-Bezirk und lasst euch für den AKI benennen.


Weitere Infos und Kontakt: E-Mail: jugend@dgb.de

(Aus der Soli aktuell 4/2023, Autor: Philipp Möcklinghoff)