Deutscher Gewerkschaftsbund

2 Annäherung an das Thema

"Niemand flüchtet freiwillig": Recht und Politik

Aus dem Lateinischen übersetzt bedeutet Migration "Auswandern" oder "Umzug". Migrant_innen sind erst einmal alle Menschen, die von einem zu einem anderen Ort ziehen. Vielleicht, weil es woanders einen besseren Job oder bessere Bildungschancen gibt. Vielleicht, weil die Familie oder die große Liebe dort wohnt.

Vielleicht auch einfach nur, um etwas Neues kennenzulernen und ein Abenteuer zu erleben. Vielleicht aber auch, weil im eigenen Land Krieg herrscht. Vielleicht, weil die eigene Religion oder Sexualität "die falsche" ist. Vielleicht, weil man als Gewerkschafter_in verfolgt wird. Oder vielleicht, weil man die eigene Familie nicht mehr ernähren kann.

Migration oder Flucht? Oder beides?
Plakat Für 60 Mark einen Italiener

© LWL Industriemuseum

Migration, um "einen besseren Job zu bekommen", kann bedeuten, dass ein Manager nach Kanada geschickt wird, um dort eine Außenstelle zu leiten. Es kann aber auch bedeuten, dass philippinische Frauen in ihrer Heimat keinen Job finden und in Saudi-Arabien unter menschenunwürdigen Bedingungen als Hausangestellte ­arbeiten.

Migration ist somit nur bis zu einem gewissen Punkt freiwillig. Flucht hingegen bedeutet immer einen Zwang.

All diese Gründe, ob individuell oder gesellschaftlich haben in der Geschichte immer wieder zu Migrations- und Fluchtbewegungen geführt. Im Mittelalter flohen Menschen vor religiöser Verfolgung, im Zeitalter der Industrialisierung wanderten Millionen Europäer_in­nen in die USA aus, darunter 5,5 Millionen Deutsche.

Viele davon wurden als Protestant_innen in ihrer Heimat verfolgt, andere sahen eine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Gleichzeitig führte die Industrialisierung bereits im 19. Jahrhundert auch dazu, dass hunderttausende polnischstämmiger Arbeiter_innen in das Ruhrgebiet einwanderten.

Während der Nazizeit in Deutschland mussten Jüdinnen und Juden, Regimekritiker_innen und Gewerkschafter_innen vor der Verfolgung durch die Nazis fliehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg warb die Bundesrepublik aktiv um Gastarbeiter_innen aus Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei.

Das Recht auf Asyl und die Genfer Konventionen

Ziel der flüchtenden Menschen ist Asyl, also ein Zufluchtsort, der Schutz vor Gefahr und Verfolgung bietet. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, in Artikel 14 der UN-Charta für Menschenrechte wurde 1948 festgehalten: "Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen."

1951 wurde dann die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, und mit einem ergänzenden Protokoll von 1967 bildet es die Grundlage internationaler Flüchtlingsrechte.

In der Konvention ist unter anderem vereinbart, dass Geflüchtete nicht an den Ort zurückgeschickt werden dürfen, an dem ihnen Verfolgung droht, ihnen Schutz gewährleistet werden muss, dass von Personen, die vor Verfolgung fliehen, nicht erwartet werden kann, dass sie beim Verlassen ihres Landes oder der Einreise in ein anderes Land alle Vorschriften einhalten und dass der Schutz Geflüchteter einer intensiven internationalen Zusammenarbeit bedarf.

Somit ist nicht nur der Schutz von Geflüchteten in der Konvention festgehalten, die Vereinbarung ist ein unmittelbarer Bestandteil des Kampfes um die globale Verwirklichung von Menschenrechten und Grundrechten für alle, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, Ethnie oder Sprache.

Das sagen Geflüchtete
"In Syrien wurde unser Haus zerstört, das einzige, was ich noch habe, ist das, was ich an dem Tag bei mir hatte. In meiner Heimatstadt ist jetzt der IS, dahin kann ich nicht zurück. Ich habe den Kontakt zu Freunden und Familienmitgliedern verloren und weiß nicht, ob sie noch leben. Ich hoffe, dass ich irgendwann zurück nach Hause kann!" (Aram, 27)

"An den Krieg in meinem Heimatland Kosovo kann ich mich gar nicht mehr richtig erinnern. Aber noch heute merkt man davon so viel: Die Soldaten in den Straßen machen mir Angst, die ganze Infrastruktur ist kaputt und niemand weiß, ob und wann die wieder aufgebaut wird. Ob ich einen Beruf finde, weiß ich nicht, niemand meiner Freunde findet einen, es gibt keine Perspektiven. Ich will aber etwas aus meinem Leben machen." (Tomi, 19)

Das Recht auf Asyl in Deutschland

Im Grundgesetz wurde das Asylrecht 1949 verankert, über Asylanträge entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Bis 1993 war festgehalten, dass "politisch Verfolgte Asyl genießen". Ausnahmen gab es keine. Bis in die 1970er Jahre lagen jährlich zwischen vier- und zehntausend Asylanträge vor, ab 1978 wurden es stetig mehr bis zum vorläufigen Höhepunkt 1992 (ca. 400.000 Anträge).

Bis 1978 kamen die Asylsuchenden vor allem aus den Ostblockstaaten und ihre Aufnahmen wurden humanitär begründet. Gleichzeitig wurden sie vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz während des Kalten Krieges als Politikum der Systemkonkurrenz bzw. überlegenheit des kapitalistischen Westens über den realsozialistischen Osten gehandelt.

Sonnenblumenhaus Rostock

© mc005 CC BY-SA 3.0

Ab dem Ende der 1970er Jahren waren es vor allem Menschen aus der "Dritten Welt", die vor Hunger, Bürgerkriegen und Militärdiktaturen flohen und in Deutschland Schutz suchten. Das Ende des real existierenden Sozialismus in den Ostblockstaaten und die Öffnung der Grenzen rief eine neue große Migrationsbewegung hervor.

Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion und dem zerfallenden Jugoslawien ersuchten um Aufnahme in Deutschland. Begleitet wurden die Asylverfahren mit massiver rassistischer Hetze, einem Wachstum von Neonazibewegungen und Übergriffen auf Migrant_innen.

Traurige Höhepunkte waren die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und Mölln. Und nicht zu vergessen: der Mord an einer türkischen Familie in Solingen.

Der Asylkompromiss

"Dies ist ein Sieg der Straße und eine Niederlage des Rechtsstaates", kommentierte die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl 1993 die Änderung des Asylrechts. Von rechten Bewegungen unter Druck gesetzt verabschiedeten CDU, SPD und FDP den sogenannten Asylkompromiss - die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.

Der Asylkompromiss sieht vor, dass nur noch die Menschen in Deutschland Asylrecht genießen, die nicht über sichere Drittstaaten eingereist sind, oder die aus nichtsicheren Herkunftsländern kommen.

Abschiebung ist Mord

© Andreas Lehner CC BY 2.0

Wer über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist, bekommt kein Asyl, sondern muss den Antrag in dem Land stellen, das auf der individuellen Flucht das erste sichere war ("Dublin-II-Verfahren").

Sichere Drittstaaten sind nach deutschem Recht die Staaten, in denen die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt sind. Das gilt für alle EU-Staaten, sowie Norwegen und die Schweiz.

Da Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist, können nur diejenigen einen Asylantrag stellen, die nicht über den Landweg einreisen. Sichere Herkunftsstaaten wiederum sind Staaten, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass dort keine politische Verfolgung oder unmenschliche Behandlung stattfindet.

Bis November 2015 waren das die EU-Mitgliedsstaaten, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Mazedonien, Senegal und Serbien. 2015 sind dann Albanien und der Kosovo als sicher erklärt worden. Geflüchtete aus diesen Ländern genießen in Deutschland kein uneingeschränktes Asylrecht und müssen unmittelbar nach Ablauf ihres Visums ausreisen oder werden abgeschoben.

Das sagen Geflüchtete
"Alle Welt redet heute über den Islamischen Staat. Aber in meiner Heimat sind die Taliban de facto noch immer an der Macht. Sie terrorisieren, es gibt Anschläge. Man weiß nie, was als Nächstes passieren wird. Viele junge Menschen schließen sich ihnen an, weil das der einzige Ausweg aus der wirtschaftlich schlechten Situation in unserem Land ist. Ich will nicht, dass meine Kinder in so einem Land aufwachsen müssen. Ich will nicht jeden Nachmittag hoffen müssen, dass sie unversehrt nach Hause kommen." (Mustafa, 34)

"Serbien ist kein reiches Land. Meine Familie aber hatte nichts. Wir wohnten in einem Slum mit anderen Roma, meistens hatten wir kein Strom oder Wasser. Ich und meine Eltern sammelten Müll, wir konnte Papier und Plastik an große Recyclingfirmen verkaufen. In die Schule bin ich nur selten gegangen, dort wurde ich von Lehrern und Mitschülern diskriminiert. Ich habe mich auf den Weg nach Deutschland gemacht, weil ich in Serbien ausgegrenzt werde und Angst habe, zu verhungern." (Ana, 23)

Asyl und Abschiebung

Geflüchtete, die nicht als Asylberechtigte anerkannt werden, müssen Deutschland innerhalb einer bestimmten Zeit (in der Regel haben sie 30 Tage Zeit) verlassen. Tun sie das nicht, werden sie "abgeschoben": Das bedeutet, dass sie gezwungen werden, das Land zu verlassen, was oft mit Hilfe der Polizei umgesetzt wird.

Nicht abgeschoben werden können Menschen, deren Ausweispapiere fehlen, die krank oder schwanger sind oder deren Herkunftsland sie nicht einreisen lässt. In diesem Fall bekommen sie eine Duldung und dürfen vorerst in Deutschland bleiben. Wie lange und unter welchen Umständen ist dabei ungewiss.

Hier geht's weiter!