Ausbildung abbrechen
Hallo Dr. Azubi,
ich überlege meine Ausbildung abzubrechen, da ich wegen psychotherapeutischer Behandlung schon 4 Monate krankgeschrieben bin und zudem gemerkt habe, dass mir die Arbeit nicht wirklich fehlt. Ich spüre, dass ich vom Bauchgefühl her nicht in meinen Beruf zurückkehren will.
Außerdem habe ich Angst, dass die hohe Arbeitsbelastung sich nicht mit meiner Genesung verträgt.
Was muss ich bei Ausbildungsabbruch beachten und kann ich wieder über meine Eltern krankenversichert werden?
Gruß
Fritze:
24.05.2023
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RE: Ausbildung abbrechen
Hallo lieber Azubi,
schön, dass du dich an Dr. Azubi gewendet hast.
Aller Anfang ist schwer. Das klingt nach einem abgedroschenen Spruch, doch es liegt viel Wahrheit darin - vor allem wenn es um die Eingewöhnung an einer neuen Ausbildungsstelle geht. Du musst dich nicht nur erst einmal mit den Kollegen und Vorgesetzten (mitsamt ihrer teilweise ruppigen Umgangsweisen), sondern auch mit den Arbeitsabläufen vertraut machen. Wenn man in einem neuen Betrieb anfängt, ist es also gar kein Wunder, dass die Freude an der Ausbildung manchmal etwas auf sich warten lässt, denn erst wenn man sich eingelebt und sich eine gewisse Selbständigkeit erarbeitet hat, ist man nicht mehr so stark von den Anweisungen (und Launen) anderer abhängig.
Dementsprechend würde ich dir raten, erst einmal abzuwarten, wie sich die Situation während deiner Probezeit entwickelt. Aber aus der Distanz habe ich natürlich keinen Einblick, wie schwer dir das fällt. Wenn dich die ganze Situation also zu sehr belastet und du keine Kraft hast, abzuwarten, ob es sich bessern wird, solltest du konkret über einen Ausbildungsplatzwechsel nachdenken.
Bei einem Ausbildungsplatzwechsel gehst du am besten folgendermaßen vor:
Bewirb dich ab sofort, denn solange du noch einen Ausbildungsplatz hast, sind deine Bewerbungschancen besser. Ausbildungsplätze, die sofort zu besetzen sind, findest du unter www.arbeitsagentur.de oder www.meinestadt.de, oder www.ihk.de. Schau auch in den Stellenportalen im Internet nach sowie in der Zeitung und oder frag im Bekanntenkreis. Auch einen Versuch wert: Suche eines Ausbildungsplatzes über soziale Netzwerke wie XING oder LinkedIn.
Sobald du was Neues hast -und erst dann!- kannst du einen Aufhebungsvertrag machen, wenn dein Betrieb mit deinem Weggang einverstanden ist.
Falls der Betrieb nicht einverstanden ist, kannst du unter Umständen außerordentlich und fristlos kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 22 Berufsbildungsgesetz). Fristlos bedeutet: Du kannst sofort gehen, nachdem du die Kündigung übergeben hast oder nachdem die Kündigung per Post im Betrieb angekommen ist. Wichtige Gründe sind zum Beispiel:
schwere und andauernde Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz oder das Arbeitszeitgesetz
mangelhafte Ausbildung durch Verstöße gegen die Ausbildungspflicht und berufliche Mängel
eine andauernde Beschäftigung mit ausbildungsfremde Tätigkeiten
Sexuelle Belästigung oder Züchtigung (körperliche Gewalt)
mehrmalig ausbleibende Ausbildungsvergütung
wenn deinem Betrieb die Ausbildereignung fehlt, sie entzogen wird oder er gar keine besitzt
angeordnete Überstunden, die auch nach Aufforderung nicht bezahlt oder in Freizeit ausgeglichen wurden und durch die das Ausbildungsziel gefährdet ist
systematisch schlechte Behandlung (immer wieder Beschimpfungen, Beleidigungen, Benachteiligungen, Diskriminierung)
Du musst schriftlich und unter genauer Angabe der Gründe (wer, was, wann, wo) kündigen. Sonst ist die Kündigung unwirksam. Sie ist auch unwirksam, wenn dir der auslösende Kündigungsgrund bereits länger als zwei Wochen bekannt war. Wenn du aufgrund von Pflichtverletzungen kündigst, die der Betrieb langfristig nicht beheben kann (z. B.: Entziehen der Ausbildereignung) oder es dir absolut unzumutbar ist weiter in dem Betrieb deine Ausbildung fortzusetzen (z. B. bei sexueller Belästigung), dann kannst du sofort unter Angabe der Gründe fristlos kündigen. Wenn dein Betrieb aber die Möglichkeit hat sein Verhalten zu ändern (z. B. bei ausbildungsfremden Tätigkeiten). Anschließend musst du den Betrieb zunächst auf die Pflichtverletzung in Form einer schriftlichen Abmahnung hinweisen und ihn dazu auffordern die Situation zu ändern. Es kann auch sinnvoll sein die zuständige Kammer mit einzubeziehen und die Schlichtung einzuberufen. Die Schlichtung ist eine Besonderheit in der Berufsausbildung, die zum Ziel hat Streitigkeiten zwischen Azubi und Ausbilder bereits vor einem Gerichtsprozess zu klären. Falls sich daraufhin nichts ändern sollte, dann hast du die Möglichkeit fristlos zu kündigen.
Eine außerordentliche Kündigung zu schreiben, ist eine Wissenschaft für sich. Deshalb gibt es keine allgemeine Vorlage. Du musst in der fristlosen Kündigung schwere Vorwürfe gegen deinen Ausbildungsbetrieb erheben. Damit die Sache auch wasserdicht ist, solltest du dir unbedingt Hilfe bei deiner Gewerkschaft holen. Rückendeckung kannst du oft auch nach der Kündigung gebrauchen. Denn wenn der Azubi kündigt, ist der Ausbilder oftmals verärgert und gibt dir nicht immer freiwillig, was dir noch zusteht. Zum Beispiel Arbeitszeugnis, Arbeitspapiere, Restgehalt, Urlaubsansprüche, die ausbezahlt werden müssen.
Bitte wende dich an deine Gewerkschaft und lass dich dort beraten. Dann bist du in guten Händen falls wirklich etwas passiert:
Wenn du weitere Unterstützung oder Rückendeckung brauchst, kannst du dich auch jederzeit an deine örtliche Gewerkschaft wenden. Hier ist ein Kontakt für dich:
Da kannst du anrufen, nach einem_einer Jugendsekretär_in fragen und sagen, dass du von Dr. Azubi kommst. Als Gewerkschaftsmitglied hast du Anspruch auf kostenlose Rechtsberatung und kostenlosen Rechtsbeistand - daher solltest du dir überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, deiner Gewerkschaft beizutreten - wenn du nicht schon Mitglied bist. Du kannst jederzeit Mitglied deiner Gewerkschaft werden. Die Mitgliedschaft kostet in der Regel 1% vom Bruttolohn pro Monate.
Wenn du mehr über unsere Arbeit erfahren willst, dann folge diesem Link: https://jugend.dgb.de/dgb_jugend/ueber-uns/mitglied-werden
Dies war ein Service deiner Gewerkschaft!
Liebe Grüße
Dr. Azubi
P. S. Bitte empfiehl unseren Service weiter!
Dr. Azubi: 25.05.2023