Gewohnheitsrecht und ungleiche Vergütung
Hallo Dr. Azubi,
Im Zuge einer Anpassung der Ausbildungsvergütung Anfang des Jahres 2023 ist aufgefallen, dass unterschiedlich hohe Vergütungen gezahlt worden sind mit der Begründung, die Lebenserhaltungskosten seien im Standtort der Niederlassung (anderes Bundesland) höher und somit gerechtfertigt.
Die Niederlassungen (Betriebsstätten) sind nicht im Handelsregister eingetragen und sind somit in jeder Hinsicht von der Hauptniederlassung abhängig und damit nicht eingenstädig.
Das Unternehmen ist an keinen Tarifvertrag gebunden und im Vertrag steht, dass das Ausbildungsverhältnis nicht in den Geltungsbereich fällt.
Besteht hier ein Anspruch auf gleiche Vergütung und in dem Fall eine Nachzahlung?
Des Weiteren wurde nach der Anpassung das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ohne Ankündigung nicht weiter gezahlt. Alle Azubis in den letzten fünf Jahren haben diese Zahlungen erhalten und es wurde nie schriftlich oder mündlich kommuniziert, dass diese Zahlungen freiwillig sind. Es gibt dazu auch keine Klausel im Ausbildungsvertrag. Meiner Auffassung nach handelt es sich hier um das Gewohnheitsrecht und es besteht weiterhin Anspruch auf die Sonderzahlungen.
In den Niederlassungen wurde noch nie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld gezahlt. Der Betrieb sieht dies als gerechtfertigt an, da die Vergütung in den Niederlassungen allgemein höher waren.
Nach der Anpassung erhält jeder Azubis dieselbe Vergütung und keine Sonderzahlungen mehr.
Ist diese Vorgehensweise rechtens?
RE: Gewohnheitsrecht und ungleiche Vergütung
Hallo liebe JAV,
schön, dass Du dich an Dr. Azubi wendest.
Hier ein paar Informationen zur Ausbildungsvergütung:
Auf der Internetseite des Bundesinstituts für Berufsbildung finden sich die tariflichen Ausbildungsvergütungen für alle Ausbildungsberufe, separat aufgeführt nach Ausbildungsjahr in Ost- und Westdeutschland. Diese können dir als Orientierungshilfe zur Einschätzung deiner Ausbildungsvergütung dienen. Du findest sie konkret hier:
https://www.bibb.de/ausbildungsverguetung
Für Auszubildende, deren Ausbildung in 2020 beginnt, gilt die Mindestausbildungsvergütung (§ 17 BBiG). Von der Mindestausbildungsvergütung ausgenommen sind tarifvertragliche Regelungen. Sieht ein Tarifvertrag eine Ausbildungsvergütung unterhalb der Mindestausbildungsvergütung vor, dürfen tarifgebundene Betriebe sich nach diesem Tarifvertrag richten. Gesetzlich festgelegt wurde auch die 20-Prozent-Regel, wonach nicht tarifgebundene Betriebe von den einschlägigen Tarifverträgen um maximal 20 Prozent nach unten abweichen dürfen, allerdings höchstens bis zur Grenze, die die Mindestausbildungsvergütung vorgibt (§ 17 BBiG).
Und hier noch etwas zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld:
Wenn im Tarifvertrag das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld nicht geregelt ist, bleibt nur noch ein etwaiger Anspruch aus Gleichbehandlungsgründen: Wenn der*die Arbeitgeber*in in den letzten Jahren freiwillig Urlaubs- oder Weihnachtsgeld gezahlt hat, ohne ausdrücklich auf die Freiwilligkeit hinzuweisen, erwächst dir ein Anspruch aus einer so genannten „betrieblichen Übung“ – man könnte auch Gewohnheitsrecht sagen.
Bitte wende Dich mit der Frage an deine Gewerkschaft vor Ort. Hier ist ein Kontakt für Dich in deiner Nähe:
Bezirksverband Koblenz-Bad Kreuznach
Rübenacher Str. 114a 56072 Koblenz
Tel.: 0261 32563
Da kannst du einfach anrufen, nach einem*einer Jugendsekretär*in fragen und auch ruhig sagen, dass du von Dr. Azubi kommst...
Dies war ein Service deiner Gewerkschaft!
Liebe Grüße
Dr. Azubi
P. S. Bitte empfiehl unseren Service weiter!