Hauptprofiteure der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung sind die
transnationalen Konzerne. Der Sozialstaat bleibt dagegen auf der
Strecke – er wird zum Wettbewerbsstaat umgebaut.
Wer heute von Globalisierung redet, kann damit sehr unterschiedliche
Vorstellungen vom Zustand der Welt verbinden. Für Norbert Walter, den
Chefvolkswirt der Deutschen Bank, ist sie der Ausdruck für den
»Siegeszug der Marktwirtschaft« und Anlass, »bewegliche Arbeitszeiten«
zu fordern, damit deutsche Unternehmer die Flexibilität haben, »die es
ihren Ingenieuren ermöglicht, zu jeder Zeit, auch nachts, mit Kollegen
in Asien zu kommunizieren«. Für Anthony Giddens, den Vordenker der
Neuen Sozialdemokratie, hat sie die »staatliche Souveränität radikal
verändert« und weist auf das »Entstehen einer globalen
Zivilgesellschaft«. Tatsächlich sind die ökonomischen Dimensionen der
Globalisierung von politischen Prozessen kaum zu trennen.
Auf einer ersten Ebene kann Globalisierung zunächst den schlichten
Sachverhalt bezeichnen, dass sich Produktion, Handel, Information und
Kommunikation im weltwirtschaftlichen Zusammenhang immer mehr
verdichten und komplexere Formen der Arbeitsteilung hervorbringen. Die
Erkenntnis, dass Märkte die Eigenschaft haben, ihre Aktivitäten in Raum
und Zeit auszudehnen und dabei auch die Räume gewachsener
Gesellschaften zu überwinden, ist aber keinesfalls neu. Bereits der
Ökonom Karl Marx wies vor 140 Jahren darauf hin, dass der Kapitalismus
zur »Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarktes tendiert«.
Neu ist jedoch die Qualität der transnationalen Verflechtung von
Unternehmen. Unternehmensbereiche wie Marketing, Forschung oder
Finanzierung werden zunehmend international ausgerichtet und
koordiniert. Ganze Unternehmen kooperieren in Form hierarchischer
Produktionsnetzwerke und so genannter strategischer Allianzen.
Auffallend ist auch das Wachstum der Direktinvestitionen, also des Auf-
und Ausbaus von Betriebsstätten im Ausland oder die Beteiligung an
ausländischen Unternehmen. Hier schlug nicht zuletzt die sprunghaft
gestiegene Zahl der Unternehmenszusammenschlüsse zu Buche. So betrug
der Wert aller grenzüberschreitenden Fusionen 1999 weltweit 3.435
Milliarden US-Dollar – 14 mal mehr als sieben Jahre zuvor.
Transnationale Konzerne (TNK), die in verschiedenen Ländern tätig sind,
sind nicht nur die Hauptakteure der Globalisierung, sie sind auch die
Hauptprofiteuere im Welthandel. Ihr Anteil am Weltexport von Gütern und
Dienstleistungen beträgt – den internen Handel eingeschlossen – rund
zwei Drittel. Wirklich global ist der Handel aber keinesfalls. Denn
obgleich die reichsten Länder der Welt weniger als ein Fünftel der
Menschheit stellen, entfallen auf sie drei Viertel aller Im- und
Exporte.
Der größte Teil der Prozesse auf den Weltmärkten spielt sich innerhalb
oder zwischen den industriellen Zentren des nordamerikanischen,
japanischen und europäischen Raums ab. Andere Teile der Welt werden
zunehmend abgehängt. So schrumpfte der ohnehin geringe Anteil Afrikas
am Welthandel (1970: 4,4 Prozent) bis in die neunziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts nochmals um die Hälfte. Die globale Ungleichheit
ist in Zeiten der Globalisierung nicht geringer, sondern größer
geworden. Dieser Trend wird daher auch zutreffender als »Triadisierung«
beschrieben.
Einzig die Finanz- und Kapitalmärkte entwickelten sich nach der
Auflösung des Bretton-Woods-Systems, das bis 1973 die internationalen
Wirtschaftsbeziehungen stabilisierte, zu einem tatsächlich globalen
Markt. Während sich die Umsätze im Welthandel vom Ende der siebziger
bis Ende der neunziger Jahre annähernd verdreifachten, wuchs der
Devisenumsatz um rund das Zehnfache – pro Börsentag sind es heute mehr
als 1,2 Billionen US-Dollar. Weniger als ein Zehntel davon entfallen
allerdings auf konkrete Außenhandels- oder Investitionsvorgänge. Die
Folge von spekulativen Finanztransaktionen dieser Größenordnung ist
jedoch eine wachsende Krisenanfälligkeit der Wirtschaft im Ganzen.
Zinssätze und Wechselkurse, die wichtige allokative
Steuerungsfunktionen erfüllen, verlieren an Wirksamkeit, das Risiko
unternehmerischer Fehlentscheidungen steigt und die Stabilität des
Gesamtsystems sinkt. Gefühltes Investitionsklima: Tendenz fallend. An
Einfluss gewonnen haben vor allem Banken und institutionelle Anleger.
Die Entwicklung der Finanzmärkte seit Mitte der siebziger Jahre ist
aber kaum rein ökonomisch zu erklären. Sie ist vielmehr Ergebnis eines
politischen Projekts. Steueroasen, wie beispielsweise auf den
europäischen Kanalinseln, können ihre Funktion als Netzknoten im System
der internationalen Finanzmärkte im heutigen Ausmaß nur wahrnehmen,
weil die Aufhebung von Beschränkungen im Kapitalverkehr eines der
ersten Großprojekte einer neoliberalen Politik der Deregulierung war,
gefolgt von weiteren internationalen Regelwerken, etwa im Rahmen der
WTO. Die insofern politisch durch die Regierungen der führenden
Industrieländer geschaffene Kapitalmobilität liefert heute wiederum den
Anlass, die eingeschränkte politische Handlungsfähigkeit der Demokratie
in Zeiten der Globalisierung zu behaupten.
Unter Hinweis auf den globalen Wettbewerb von Staaten, Regionen und
Kommunen um Investoren wird der Sozialstaat zurückgedrängt; jener
soziale Kompromiss, an dessen Zustandekommen gerade Gewerkschafter
großen Anteil hatten – und der, wie der Philosoph André Gorz
formuliert, »dem Kapital schon immer ein Dorn im Auge war, nämlich die
Verbindung von Ausbeutung mit sozialen Verpflichtungen«.
Eingebettet in das gemischtwirtschaftliche System des Wohlfahrtsstaates
hatte diese Sozialverpflichtung des Eigentums nach 1945 ihren Ausdruck
in institutionellen Arrangements wie dem Streikrecht, der
Tarifautonomie, einer progressiven Einkommens- und
Vermögensbesteuerung, einem öffentlichen System sozialer Sicherung und
nicht zuletzt der Steigerung der Arbeitseinkommen gefunden. Inzwischen
ist der Umbau des Sozialstaates zum Wettbewerbsstaat weit
vorangeschritten. Das Verhältnis von Wirtschaft und Politik wird neu
definiert und die Privatisierung der Vorsorge gegenüber Lebensrisiken –
ob in der Alterssicherung oder im Gesundheitswesen – mit der Begründung
vorangetrieben, dass soziale Ungleichheit die Bedingung ökonomischer
Effizienz sei.
Der neoliberale Wettbewerbskult ist hier um Erklärungen nicht verlegen.
Für Herbert Giersch, langjähriger Präsident des Kieler Instituts für
Weltwirtschaft, ist Globalisierung ein Schlüsselbegriff unserer Epoche:
»Der Markt verspricht Freiheit. Er zeigt uns, dass zweitbesten Menschen
manchmal mit zweitbesten Lösungen am besten gedient ist.« Mit dieser
Gewissheit lassen sich die Nebenwirkungen der Konkurrenzgemeinschaft
besser öffentlich vermitteln – wie der Umstand, dass dem Anstieg der
Zahl der Millionäre in Deutschland von 200.000 auf 1,5 Millionen eine
Verdreifachung des Anteils der Sozialhilfeempfänger unter Kindern und
Jugendlichen gegenübersteht. In dieser Hinsicht ist Globalisierung wohl
das, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu einen konservativen
»Machtdiskurs« genannt hat, »eine Vorstellung, die Glauben auf sich
zieht«, indem sie im Gewand der Wissenschaftlichkeit auftritt.
Überlegungen zu den Chancen einer zivilgesellschaftlichen Global
Governance eröffnen zwar die Perspektive einer kooperativen
Re-Regulierung der Weltwirtschaft, bleiben dabei aber oft einer
fragwürdigen Gegenüberstellung von Politik und Ökonomie verhaftet.
Dabei macht gerade die Entwicklung der Finanzmärkte eines deutlich:
Nicht Kapitalknappheit ist heute das Problem, sondern die sinnvolle
Verwendung gemeinschaftlich produzierter Überschüsse. Und da es an
sinnvollen Ideen eigentlich ebenso wenig mangelt wie an Menschen, die
gerne (weniger) Arbeit hätten, scheint es überaus angemessen, wenn die
Gesellschaft darüber nachdenkt, nach welchen Regeln sie diese
Überschüsse verteilt wissen will. Denn die Regeln des Marktes sind von
Menschen gemacht. Und wenn mehr globaler Wettbewerb zu weniger sozialer
Gerechtigkeit führt, dann ist es vielleicht an der Zeit, dass die
Menschen den Dingen eine andere Richtung geben.
Jörg Reitzig ist Sozialökonom und arbeitet am IMU-Institut für Medienforschung und Urbanistik in Berlin.
Linktipps:
- Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik: www.memo.uni-bremen.de,
- International Forum On Globalization: www.ifg.org ,
- NGOs: www.attac-netzwerk.de, www.weedbonn.org, www.germanwatch.org
Literaturtipp:
- Unsere Welt ist keine Ware, Herausgeber: Buchholz, Karrass, Nachtwey, Schmidt, KiWi, Köln 2002, 9,90 Euro
(aus Soli extra "Globalisierung" Sommer 2003, Autor: Jörg Reitzig)